Grenzen setzen- ohne schlechtes Gewissen

Als unsere Hauswartin nach kurzem Klingeln plötzlich und ohne Aufforderung mit einem Arbeiter unseren Flur betrat, stockte mir der Atem und in meinem Magen zog sich etwas zusammen. Hatte ich ihr im Vorfeld erlaubt, einfach selbstständig in die Wohnung einzutreten und konnte ich mich nicht mehr daran erinnern? Auf jeden Fall zeigten mir meine Körpersignale klar, dass ich mit ihrem Verhalten nicht einverstanden war. Sie überschritt meine Grenzen! Das wollte ich nicht noch einmal erleben und beim nächsten angemeldeten Besuch unserer Hauswartin schloss ich schon mal vorsorglich die Haustüre von innen ab. Aber hätte ich nicht besser verbal meine Grenzen gesetzt?

Weshalb wir Schwierigkeiten haben nein zu sagen

Vielleicht kennst du ähnliche Situationen, wie ich sie oben beschrieben habe: Ein Augenblick, wo du genau spürst, dass dir etwas nicht guttut und trotzdem gelingt es dir nicht, dich abzugrenzen. Warum ist das so?
Grundsätzlich sind wir ausserordentlich bindungsorientiert, wenn wir auf die Welt kommen. Das heisst, wir sind auf unsere Eltern- unsere Bindungspersonen- fokussiert, denn von ihnen hängt unser Überleben ab. Das ist also unsere „Grundeinstellung“. Weil für uns Bindung für das Erleben von Sicherheit so wesentlich ist , sind wir unbewusst sehr darauf ausgerichtet, nichts zu tun, was unsere Bindung zu anderen Menschen gefährden könnte. Vielleicht ahnst du an dieser Stelle schon, worauf das hinausläuft: Abgrenzung bedeutet für viele Menschen unbewusst Angst vor Verlust, Angst vor dem Verlassenwerden und Alleinsein, weil diese Gefühle an Erfahrungen aus der Kindheit gekoppelt sind. Wenn wir in der Kindheit erlebt haben, dass unser Nein-Sagen dazu führt, dass wir zum Beispiel bestraft oder beschämt werden oder einfach achtlos über unsere Grenze hinweggegangen wird, ist sich abgrenzen an sehr unangenehme und beängstigende Emotionen geknüpft. Diese unangenehmen Emotionen können auf einer unbewussten Ebene als Erwachsene wieder wachgerufen werden, wenn es um das Thema Grenzen setzen geht und das wollen wir nicht.

Vielleicht hatten aber auch schon deine Eltern grosse Schwierigkeiten sich abzugrenzen und du hast gelernt, ihr Verhalten zu kopieren. Zusätzlich haben uns gesellschaftliche und kulturelle Hintergründe geprägt. Es gehörte zum Beispiel viele Jahre zum Bild der perfekten Hausfrau und Mutter, sich selbst mit ihren Bedürfnissen zurückzunehmen. Ausserdem, in einer Gesellschaft, in der Leistung oft über alles gestellt wird, fällt es vielen schwer, Nein zu sagen – mit Burnout als möglicher Folge.

Anzeichen dass du Schwierigkeiten hast grenzen zu setzen

Du…

  • leidest an chronischer Erschöpfung.

  • … empfindest Schuldgefühle, wenn du dich abgrenzt.

  • … hast Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen (weil du deine eigenen Bedürfnisse gar nicht kennst oder Angst hast, für sie einzustehen).

  • … stellst die Bedürfnisse anderer über deine.

  • …  verrätst deine eigenen Werte/Würde.

  • … empfindest Groll und Wut auf andere (weil du dich übergangen fühlst).

  • … leidest an einem Helfersyndrom.

Wie beeinflusst Grenzen setzen können unser Wohlbefinden?

Sich abgrenzen zu können ist total wichtig für unsere Gesundheit, unseren Selbstwert und gesunde Beziehungen! Nur wenn wir unsere Bedürfnisse erkennen und achtsam für sie einstehen, können wir unseren Platz in dieser Welt einnehmen und gesund bleiben. Nein sagen zu können - wenn möglich im Einklang mit unserem Umfeld - ermöglicht uns ein authentisches und selbstbestimmtes Leben zu genießen. Darum ist es so kraftvoll, sich darin zu üben!

8 Inspirationen um Grenzen setzen zu lernen

  • Seiner Bedürfnisse bewusst werden - dein innerer Kompass!
    Dieser erste Schritt kann vorerst ziemlich banal klingen, ist aber entscheidend. Als ich mich vor mehr als 20 Jahren auf den Weg machte, mich selber besser kennen zu lernen, wusste ich nicht einmal, was man unter einem Bedürfnis versteht. Ich hatte damals große Schwierigkeiten zu unterscheiden, was meine eigenen Bedürfnisse waren und welche ich glaubte zu haben, um andere glücklich zu machen. In der Arbeit mit der gewaltfreien Kommunikation (GFK), wo sich im Kern alles um Bedürfnisse dreht, habe ich meine Antworten gefunden. Ich lade dich ein, folgende Frage zu reflektieren: Was sind meine Kernbedürfnisse? Hier findest du eine Bedürfnisliste, die dein Antworten erleichtern kann.

  • Körpersignale wahrnehmen - dein persönliches Meldesystem!
    Wenn wir etwas tun müssen, das uns nicht entspricht, meldet sich unser Körper: ein mulmiges Gefühl im Magen, eine Enge in der Brust, der Atem stockt, ein Kloß im Hals (u.v.m.). Das sind sogenannte somatische Marker. Sie sind schneller als unser Verstand, sie melden sich also aus dem Unterbewusstsein. Vielleicht braucht es etwas Zeit, bis du diese Signale wahrnehmen kannst, falls du in der Vergangenheit lernen musstest, dich von diesen Körperempfindungen abzukoppeln. Die Bereitschaft diesen Empfindungen Raum zu geben, sie einzuladen, sich zu zeigen, kann sie sanft in dein Bewusstsein zurückbringen.

  • Selbstreflexion - dein aufschlussreicher Detektivblick!
    Je besser wir uns selber kennen und verstehen, desto gnädiger gehen wir mit uns um. Der wohlwollende Blick auf uns selbst erleichtert unseren Prozess der Veränderung ungemein. Zu diesem Zweck lade ich dich ein, dir folgende Fragen zu stellen:
    - Wie wurde bei uns zu Hause das Thema „Grenzen setzen“ gelebt?
    - Wo sage ich „ja“, wo ich eigentlich „nein“ meine?
    - Wo in der Vergangenheit ist es mir bereits gelungen, erfolgreich Grenzen zu setzen?
    - Was für einen nächsten kleinen Schritt könnte ich planen, um mich besser abzugrenzen?

  • Ich-Botschaften senden - dein smartes Kommunikationsmittel!
    Wenn du deine Grenzen kommunizierst, ist es dienlich, dies in einem freundlich klaren Ton zu tun. Es ist für dein Gegenüber einfacher, deine Abgrenzung entgegenzunehmen, wenn du bedürfnisorientiert eine Ich-Botschaft sendest. Ich-Botschaften mindern die Gefahr, dass dein Gegenüber sich angegriffen oder nicht verstanden fühlt. Zum Beispiel:“ Ich bin total müde nach diesem anstrengenden Tag. Ich brauche eine Stunde Pause, um mich zu erholen. Nachher gehe ich gerne auf dein Anliegen ein.“
    Lust auf mehr Ich-Botschaften? Hier findest du einen Ich-Botschaften-Generator, der dich unterstützt, Ich-Botschaften zu formulieren.

  • Ministeps - deine Erfolgserlebnisse verbuchen!
    Vielleicht magst du dir überlegen, in welchem kleinen Teilbereich du üben willst, deine Bedürfnisse wahrzunehmen und Grenzen zu setzen. Am besten beginnst du klein und wenn möglich, wenn du dich gut fühlst. (Unter Anspannung und Stress wird alles sofort viel anspruchsvoller!)
    - Vielleicht magst du dich fragen, was du heute gerne kochen würdest, ohne zuerst auf all die Vorlieben deiner Familienmitglieder einzugehen? (Vielleicht lassen sich die verschiedenen Bedürfnisse ja auch verbinden?)
    - Oder du erlaubst dir während der Arbeit eine kurze Minipause, wo es einfach um dein Wohlergehen geht. Einmal bewusst durchatmen? Den Blick von der Arbeit lösen und in die Ferne schweifen lassen? Ein wenig Bewegung? Ein kurzer Schwatz mit der Arbeitskollegin oder Freundin?
    - Vielleicht beobachtest du dich, wo du zuerst die anderen um ihre Meinung/ Wünsche fragst, bevor du bei dir selbst nachforschst. Magst du mal die Reihenfolge ändern?

  • Erfolge erkennen und feiern - so machst du Veränderung wahr!
    Wenn es dir gelingt, deine Bedürfnisse wahrzunehmen und sie zu kommunizieren, also für dich und deine Werte und Würde einzustehen, gibt es etwas zu feiern! Und zwar unabhängig davon, wie dein Gegenüber reagiert. Damit wir uns verändern können, brauchen wir neue Erfahrungen, sogenannte korrigierende Erfahrungen. Und wir brauchen das Bewusstsein, dass wir gerade im Einklang mit unserem Wunsch nach Veränderung gehandelt haben. Das fühlt sich vielleicht am Anfang etwas komisch an, da es ungewohnt ist. Aber es ist extrem unterstützend nach einem Erfolgserlebnis - und wenn es noch so klein war - wenn du einen Augenblick innehältst und deine Leistung würdigst. Das stärkt deinen Selbstwert, weil du deine Selbstwirksamkeit bewusst wahrnimmst. Zudem baust du neue neuronale Netzwerke auf, die Veränderung möglich machen und du kannst deine alten ungeliebten Trampelpfade - deine limitierenden Muster - mit der Zeit verlassen.
    Möchtest du mehr Inspiration, wie du neue neuronale Netzwerke aufbauen kannst? Diese Blogartikel helfen dir weiter:
    Raus aus dem Stress, rein in die Lebensfreude!
    Anleitung für mehr innere Freiheit und Stärke

  • Sicherheit (nach)empfinden - deine Basis pflegen, um dich abzugrenzen
    Weiter oben hast du bereits gelernt, dass unsere unguten Gefühle Grenzen zu setzen aus unserer Kindheit stammen können. Wenn es ums Nein-Sagen geht, können wir unbewusst in unsere kindlich-emotionalen Zustände geraten. Damit dies nicht passiert, empfehle ich dir zu üben, dich in deinem Raum zu orientieren. Das heisst, du schaust dich mit einem neugierigen Blick in deinem Raum um, als ob du ihn das erste Mal sehen würdest. Du kannst dabei auch Dinge zählen (zum Beispiel alles Rote, alles Runde…), wenn du mehr Fokus brauchst. Und eventuell magst du dir (laut) sagen: „Ich bin…. Jahre alt und bin in Sicherheit!“ Das mag vielleicht banal klingen, hat aber den Effekt, dass dein Nervensystem die Information erhält, dass hier und heute alles in Ordnung ist. Zudem wirst du an dein tatsächliches biologisches Alter erinnert, was wir unter Stress schon mal vergessen können. Dadurch kann sich dein Nervensystem entspannen. Vielleicht magst du nun ganz bewusst dieses Gefühl von Entspannung und Sicherheit in deinem Körper wahrnehmen. Je mehr du dies übst und das Gefühl von Sicherheit verkörperst, desto mehr wirst du zu deinem eigenen Fels in der Brandung. Und glaube mir, aus dieser entspannten Haltung wird es dir einfacher fallen, deine Bedürfnisse wahrzunehmen und für sie einzustehen!
    Wenn du ein Instagram-Account hast, kannst du dir dieses Video zur Orientierung anschauen.

  • Schuldgefühlen und Ängsten begegnen - wie du deine Wunden gut versorgst
    Vielleicht magst du dich der Idee öffnen, dass deine Persönlichkeit aus unterschiedlichen Anteilen besteht. Da gibt es vielleicht solche, die ganz mutig sind, voller Lebensfreude und unternehmenslustig. Und dann gibt es auch die Ängstlichen, die Zaghaften die, die, schnell ein schlechtes Gewissen haben. Wenn du magst, hole dir ein Blatt Papier, einen schönen Stift und mach’s dir bequem an einem sicheren und ungestörten Ort. Damit du gut im Hier und Jetzt verankert bist, empfehle ich dir oben genannte Übung Sicherheit (nach) empfinden - deine Basis pflegen, um dich abzugrenzen als Einstieg auszuführen.
    Nun kannst du dir vorstellen, wie du ein schriftliches Zwiegespräch mit einem deiner ängstlichen, zurückgezogenen Anteile führst. Interessiere dich gerne für seine Geschichte in einer wohlwollenden, liebevollen Haltung. Und vielleicht kannst du etwas Heilsames herausfinden, was diesem Anteil in seiner Entwicklung guttun würde? Manchmal ist es hilfreich, diesen inneren Weg professionell mit jemandem gemeinsam zu gehen. Wenn du magst, melde dich gerne bei mir für ein kostenloses telefonisches Erstgespräch.

Fazit: Grenzen setzen schafft Raum für echte, liebevolle Beziehungen

Wenn du gesund und authentisch dein Leben führen willst, ist es wichtig, dir deiner Grenzen bewusst zu sein und sie zu kommunizieren. Gesunde Beziehungen zu uns und zu anderen Menschen sind nur möglich, wenn wir unsere Grenzen setzen können und diese respektiert werden. Diese Welt wird ein besserer Ort, wenn wir im Miteinander unsere eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und ausdrücken – und dabei die Grenzen der anderen respektieren!

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Entspannt sein? Was wirklich hilft!